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*** Gegen das Vergessen

Montag, 7. September 2009, geschrieben von Mimi Müller

Versuch einer Biographie der Mimi Müller anlässlich des x-ten Jahrestages ihres Verschwindens im September des Jahres 2009.

Liebe Leserinnen und Leser,

wenn ich Ihnen nun die Geschichte der Mimi Müller erzähle,

dann dürfen sie dabei nicht aus den Augen verlieren, daß wir mit dem wenigen Vorlieb nehmen müssen, was eifrige Literaturforscher über sie auf den verschiedensten Festplatten und in alten, halbwegs verrotteten Zeitungsarchiven noch auszugraben vermochten. Das ist nicht viel. Eine der Hauptquellen, die uns heute überhaupt noch zu Forschungszwecken zur Verfügung stehen, ist ihr eigener PC, der jedoch so einige Mucken aufweist. Frau Müller war schon zu ihren Lebzeiten technisch nie auf der Höhe der Zeit, entsprechend aufwendig ist die Rekonstruktion ihrer durchaus lebhaft zu nennenden Gedankenwelt. Die Sichtung ihres „materiellen“ Nachlasses, also mehrere Zentner Papier,  zahllose Mappen und Schnellhefter, wird dadurch erschwert, daß sie in zahllosen Stapeln auf dem Boden liegen, ohne dass irgendein Anhaltspunkt uns Aufschluss darüber gäbe, wie die Dinge geordnet sein könnten. Wenn uns der Zugang zu ihrem gesamten literarischen Schaffen damit auch für eine Weile noch versperrt bleiben wird, so haben sich doch unter hunderten von elektronischen Dateien mit Romananfängen (Frau Müller liebte es, sich Buchtitel und erste Sätze auszudenken, darauf kommen wir noch) auch einige temporäre Dateien mit umfangreichen Korrespondenzen gefunden, die uns Aufschluss geben können, über ihre Motive, ihre Denk- und Arbeitsweise.

Auszüge aus diesen Korrespondenzen werden deshalb gelegentlich eingefügt, vor allem dann, wenn es notwendig erscheint, sie ausdrücklich selbst zu Worte kommen zu lassen.

Im Übrigen müssen Sie sich auf mein Erinnerungsvermögen verlassen – und das ist so schlecht nicht. Auch war ich ihre engste Vertraute. Ich begleitete sie von ihrer Geburt bis zu ihrem Verschwinden. Sie war meine Tochter, ebenso wie sie mir Mutter gewesen ist.

Petra Pelikan

Kapitel 1 Wissen. Und anwenden.

Auszug eines Briefes von Mimi Müller an Josef Krings aus dem Januar des Jahres 2007. Anlass der mehrere Briefe umfassenden Korrespondenz, von der hier nur ein kurzer Auszug wiedergegeben wird, war eine Kolumne, die anlässlich des Ankaufes des Lehmbruckerbes geschrieben wurde. Mimi Müller war strikt dagegen. Josef Krings unbedingt dafür.

„Kunst ist unser größtes Kapital, darüber hinaus ist sie das einzige Bindeglied zwischen Himmel und Erde, das dem Menschen geblieben ist. Nur Sie vermag seine Seele so zu stärken, dass er den Herausforderungen eines ungewissen Morgen kraftvoll entgegentreten kann. Kunst ist ein Lebens,- und ein Überlebensmittel und die Künstler dieser Tage haben eine große Aufgabe zu leisten. Wie viele Andere versagen jedoch auch sie sich überwiegend dieser Aufgabe und begeben sich stattdessen auf eine intellektuelle Spielwiese, die ihnen von denen, die an ihrem Machterhalt interessiert sind, nur allzugern zur Verfügung gestellt wird – bindet sie doch die ebenso evolutionären wie revolutionären Kräfte der Kunst. Wir, Sie und ich, müssen fürchten, dass immer mehr Menschen sich von der Kunst insgesamt abwenden- und sich damit einem elementaren Quell des Lebens berauben. Wir kämpfen dagegen. Kämpfen auch gegen das Vergessen. Jeder auf seine Weise und jeder mit seinem  Begriff von der Kunst. Der meine schließt den Ihren nicht aus, ja er ist sogar Grundlage. Nur geht er mir nicht weit genug und hilft uns nicht, mit den Problemen umzugehen, in die wir gestellt sind. Ich möchte noch einmalzwerg 379 Beuys zitieren:

„Die einzig revolutionäre Kraft ist die Kraft der menschlichen Kreativität…die einzig revolutionäre Kraft ist die Kunst. Das ist die Schwelle, wo der Mensch sich als primärgeistiges Wesen erfährt und seine primärsten Produkte (Kunstwerke), sein tätiges Denken, sein tätiges Fühlen, sein tätiges Wollen und die höheren Formen davon, beobachtet werden als plastische Produktionsweisen. … Je höher die Kreativität der Menschen ist, um so höher ist das Volks-vermögen, um so höher die Fähigkeit, die Dinge so zu regeln, dass sie in höchst-em Maß produktiv und effektiv werden im Sinne aller.“